Tragwerksplaner – kein Stadion ohne Statik

Zwischen einem Entwurf und dessen Umsetzung als Stadion mit Dach steht die Arbeit von Fachingenieuren, die die statischen Details prüfen und konstruktive Lösungen für alle erdenklichen Anforderungen erarbeiten.

Ob bei einem einfachen Zweckbau oder einem prestigeträchtigen Großstadion – jeder architektonische Entwurf muss sich hinsichtlich seiner Statik plausibel darstellen lassen. Es sind auch Aspekte mit abzuwägen, die Einfluss auf das Budget und den Zeitplan eines Projektes haben. Eine Konstruktionsweise für den Massivbau sowie das Dach mit den entsprechenden statischen Nachweisen zu erarbeiten, ist die Aufgabe der Tragwerksplaner.

In Deutschland werden Stadionprojekte in aller Regel in Ausschreibungsverfahren an Generalunternehmer (GU) beziehungsweise Generalplaner mit entsprechender Erfahrung und Referenzen vergeben. Hierbei setzt der GU auf ein bewährtes Team von Fachplanern, zu dem auch die Statiker gehören. Da bei den Entscheidungen im Rahmen der Ausschreibungswettbewerbe ein Kostenrahmen für das Gesamtprojekt vorgegeben ist, der nicht überschritten werden oder möglichst unterboten werden soll, liegt es nahe, Prozesse von Beginn an zu straffen und die Kosten im Blick zu behalten. In diesem Sinne, damit ein möglichst ausgereiftes Modell vorgestellt werden kann, ist es sehr zielführend, wenn der Architekt seinen Entwurf in enger Abstimmung mit dem Tragwerksplaner entwickelt.

Da der Generalunternehmer die Gesamtverantwortung übernimmt und gegenüber dem Bauherrn und seinem Projektsteuerer Rechenschaft über das Budget und die technische Umsetzung ablegt, überprüft er den Vorschlag der Planer mit Blick auf die finanzielle Seite wie auch auf weiteres Optimierungspotenzial. Dies ist möglicherweise bei spezifischem Know-how in der Stahlproduktion oder den Montagetechniken zu finden.


Wurde zwischen allen Parteien die Einigung über ein Stadionmodell erzielt, können die Tragwerksplaner ihre Arbeit fortsetzen und die Vorstatik erstellen. Dies geschieht anhand von Berechnungen und Erfahrungswerten – bei größeren Stadien legt man im ersten Schritt eine Ausstattung nach UEFA-Standard zugrunde, um in einem Rahmen zu planen, der einen größtmöglichen Katalog an Anforderungen erfüllt und gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt reduziert wird. Zu berücksichtigen sind insbesondere Windlasten und die Haustechnik, die am Dach installiert wird. Also unter anderem die Beleuchtung und Beschallung. Bei kleineren Stadionprojekten dienen eher die individuell nach dem jeweiligen Bedarf ausgerichteten Konzepte der Licht- und Sound-Fachplaner als Anhaltspunkte.
 

Phasen der Tragwerksplanung

1. Monat
Systemfindung gemäß Wettbewerbsunterlagen, intensive Zusammenarbeit mit Architekt

2. Monat
Wenn Wettbewerb gewonnen: Vorstatik; das entwickelte Modell mit Architekt und GU weiter auf die Gegebenheiten anpassen, Gutachten

3. Monat
Letzte Modifikationen, Detailplanung, Lastenplan etc. gemäß von GU vorgegebenem Etat

Anschließend:
Baufreigabe und Übergabe an Stahlbauunternehmen


Schrittweise Annäherung

Wurde der Wettbewerb gewonnen und geht das Projekt in die Umsetzung, können die Tragwerksplaner sich den Details widmen. Zuallererst wird ein physisches Modell erstellt, anhand dessen ein Windgutachter im Windkanal die vorgeschlagene Statik überprüft. Ob Änderungen vorgenommen werden müssen, ist anders nicht vorhersehbar. Erst anhand der Ergebnisse dieses Tests werden die endgültigen Festlegungen getroffen und der Lastenplan mit der Zusammenstellung der Wind- und Schneelasten sowie der Statik in allen Details erarbeitet.


Anschließend werden die Übersichtspläne für die Dachgewerke mit allen vorgegeben Details und mit dem Architekt und GU abgestimmten Merkmalen an das beauftragte Stahlbauunternehmen übergeben, das jetzt mit seiner Werkstattplanung beginnen kann. Zu diesem Zeitpunkt ist die erste baubehördliche Prüfung erfolgt. Jetzt ist neben allen anderen Einzelheiten auch aufgeführt, welche Knoten geschweißt oder geschraubt werden und welche Rohrstärken und Materialien zum Einsatz kommen. Hiermit besteht jetzt auch eine recht genaue Übersicht zu den Kosten. Mit dem Prüfbericht und möglicherweise einigen Modifikationen kann die Ampel für den Bau auf Grün geschaltet werden. Sind jetzt noch Änderungen am Entwurf gewünscht, können Budget und Zeitrahmen wahrscheinlich nicht eingehalten werden.

Wunsch und Wirklichkeit

Kaum ein Auftraggeber geht nicht, ganz gleich, welches Budget zur Verfügung steht, mit der Vorstellung eines Stadions mit individuellen Merkmalen in ein Projekt. Die Gestaltung von Dach und Fassade bietet heute mehr Optionen denn je zuvor. Welche von ihnen sich tatsächlich wirtschaftlich darstellen lassen, ist bei jedem neuen Stadionmodell ein Rechenexempel für die Fachplaner. Grundsätzlich ist es erstrebenswert, Stadiondächer ohne Stützen zu bauen, die die Sicht der Zuschauer einschränken. Gemeinhin lässt sich ein Modell mit Stützen aber kostengünstiger umsetzen als andere Varianten – wobei diese Aussage wiederum nicht pauschal gelten kann.

Je nach Umgebungsbedingungen ist auch eine Stützenkonstruktion relativ aufwändig oder eine stützenfreie relativ günstig. Die Aussage: „Je größer die Spannweite, desto höher der Aufwand“, trifft grundsätzlich immer zu. Das Dach ist aber immer im Kontext der Statik des gesamten Gebäudes zu betrachten. Außerdem kommt als entscheidender Faktor der Baugrund hinzu, dessen Tragfähigkeit den Aufwand für die Gründungsarbeiten bestimmt.

Weitere Faktoren können topografischer oder städtebaulicher Natur sein: Befindet sich das Stadion in einem Erdwall? Verläuft eine Straße so nah am Grundstück, dass die Ingenieure ohne Lastabtrag im rückwärtigen Tribünenbereich arbeiten müssen – oder darf hier ein geschützter Baumbestand nicht angetastet werden? Während beispielsweise der Neubau in Augsburg „auf der grünen Wiese“ mit Stützen stattfand, wurde in Dresden im laufenden Betrieb annähernd zum gleichen Preis stützenfrei gebaut. Richtpreise für diverse typische Arten von Tragwerken können im Voraus nicht genannt werden – ein Annäherungswert an die tatsächliche Bausumme kann jeweils nur unter Berücksichtigung sämtlicher Einflussfaktoren ermittelt werden.

Kein Dach ist wie das andere

Ganz spezifische Anforderungen sind zudem individuell zu betrachten, wenn im Bestand beziehungsweise bei laufendem Betrieb umgebaut wird. Ist es seitens des Bauherrn erwünscht, auch im Umbau überdachte Plätze anzubieten, muss die Statik jedes neuen Sektors eigenständig sein. Beispielsweise eine Speichenrad-Konstruktion mit Nabe über dem Spielfeld lässt sich auf diese Weise nicht bauen. Dass bei einer solchen auch Lasten im Innenraum gehoben sowie Kleinteile in hoher Stückzahl montiert werden müssen, bedingt zusätzliche Besonderheiten im Gesamtablauf auf der Baustelle.

Etwa in Frankfurt mussten die Zuschauer während des Baus der Commerzbank-Arena bis zuletzt auf ihren Wetterschutz warten, während es die Druckstab-Konstruktion an vier Pylonen in Köln ermöglichte, eine neue Tribüne nach der anderen vollständig überdacht zu eröffnen. Im Falle kleinerer Stadien ist es eine günstige Standard-Variante, das Flutlicht an Bügeln auf dem Dach zu montieren. Mancherorts ist aber eine elegantere Lösung gewünscht oder vielleicht auch der Erhalt von Masten als markanten Merkmalen.

Auch wenn der Baukasten der Planer ein überschaubares Repertoire an Grundbausteinen bietet, sind diese doch in beinahe unendlich vielen Variationen kombinierbar und interpretierbar. Und selbst, wenn ein Stadion an einem anderen Ort exakt baugleich reproduziert werden sollte, müsste sich das vermeintliche Duplikat in einer ganzen Reihe von Details vom Original unterscheiden. Die besondere Leistung der Tragwerksplaner liegt also darin, bei jedem Auftrag ebenso kreative wie ingenieurwissenschaftlich präzise und verbindliche Lösungen zu schaffen. Hierbei steht der Stadionbau nicht allein; es fließen auch technologische Innovationen aus anderen Bereichen wie dem Brücken- oder Ingenieurbau ein, die einerseits immer spektakulärere Konstruktionen ermöglichen und die andererseits dazu beitragen, Bauleistungen noch wirtschaftlicher zu gestalten.