„Moderne, aber einzigartige Spielstätte“
Im Interview spricht Dipl. Ing. Architekt Philipp Venema, Teilprojektleiter des Stadionprojekts und Projektarchitekt des Büros der 1100 Architekten, unter anderem über das Projekt in Darmstadt, die Ziele und den Zeitplan.
Stadionwelt: Bitte beschreiben Sie den architektonischen Ansatz des Merck-Stadions am Böllenfalltor.
Stadionwelt: Was zeichnet den Entwurf Ihrer Ansicht nach aus? Was sind architektonische Besonderheiten?
Venema: Die neue Gegentribüne hat im Unterrang durchgehend Stehplätze, die der in der alten Tribüne nachempfunden sind und für eine tolle Atmosphäre sorgen. Die Fans können sich außerdem wie schon vor dem Umbau frei um das ganze Stadion bewegen – mit Ausnahme des Gästeblocks. Dadurch bleibt auch der Platz vor der Haupttribüne als Zugang, Verteiler und Haupttreffpunkt aller Fans bestehen. Das ist sicherlich eine schöne Besonderheit, denn so sind die Besucher der Haupttribüne nicht völlig von den anderen Fans separiert – nicht wie in einigen anderen Stadien.
Zudem haben wir eine Dachkonstruktion mit sehr hohem Wiedererkennungswert und einem gestalterischen Motiv, welches sich auch in den Abspannungen im Außenbereich wiederfindet. Sicherlich ist auch die Nähe am Spielfeld aller vier Tribünen und die unterschiedliche Höhe von Kopf und Seitentribünen besonders – vom Oberrang der Gegentribüne hat man einen tollen Blick auf die Stadt.
Stadionwelt: Wie ist der Stand auf der Baustelle? Bitte geben Sie Auskunft zum Status quo – wie fällt das Zwischenfazit aus?
Venema: Wir befinden uns nun mitten im letzten von drei Bauabschnitten: der Rohbau der Haupttribüne ist fertiggestellt, der Innenausbau hat begonnen und zeitnah wird auch die Montage der Dachkonstruktion beginnen. Die Gegengerade und das Funktionsgebäude sind schon seit einiger Zeit erfolgreich in Betrieb. Natürlich ist der Bau im laufenden Betrieb anstrengend, bislang sind wir aber recht zufrieden.
Stadionwelt: …eine Herausforderung in dem Bau-Projekt liegt wie sie schon sagen darin, dass die Spielstätte während des laufenden Betriebs umgebaut wird. Inwiefern birgt dieser Umstand Schwierigkeiten?
Venema: Wir mussten immer wieder neue Wege finden und haben natürlich einen erhöhten Abstimmungsbedarf mit allen Beteiligten: Feuerwehr, Polizei aber auch Sportcast und DFL. Besonders schön ist und war hier von allen Beteiligten die immer sehr gute Zusammenarbeit. Insbesondere die notwendigen Interimslösungen im Rahmen des Abrisses der Haupttribüne stellten eine Herausforderung dar, da im Grunde die gesamte Infrastruktur wegfällt. Das hatte auch von Anfang an Auswirkungen auf die grundsätzliche Reihenfolge der Bauabschnitte, da wir hier mit möglichst wenigen temporären Lösungen wie z.B. Containeranlagen arbeiten wollten – was uns auch gelungen ist.
Stadionwelt: In welcher Konstellation arbeiten Sie in Darmstadt? Wer hat welche Leistungen übernommen und wer sitzt noch im Boot?
Venema: Wir sind in Darmstadt als Generalplaner für alle Bereiche der Planung zuständig und hierfür mit unseren langjährigen Partnern wie z.B. Bollinger+Grohmanm im Bereich Tragwerksplanung bestens aufgestellt. Dabei sind wir immer erster Ansprechpartner für den Bauherrn. Grundsätzlich arbeiten wir aber bei unseren Projekten in allen denkbaren Konstellationen – vom Generalplaner bis zur Einzelbeauftragung.
Stadionwelt: Von welchen weiteren (Sportstätten-)Referenzen können Sie berichten? An welchen Projekten arbeiten Sie darüber hinaus?
Venema: Neben dem Neubau von Sportstätten beschäftigen wir uns auch intensiv mit dem Erhalt und der Sanierung von bestehenden Sportstätten – ein Thema was sicherlich immer wichtiger wird. Aktuell sanieren wir beispielsweise die denkmalgeschützte Böllenfalltorhalle mit ca. 2.000 Zuschauerplätzen und beginnen zeitnah mit der Sanierung und Erweiterung des ebenfalls denkmalgeschützten Mühltahlbads. Die Sanierung von weiteren Großsporthallen steht zudem an. Wir arbeiten aktuell aber auch an einigen weiteren, kleineren Stadionprojekten. Natürlich verfolgen wir aber auch intensiv die diversen möglichen künftigen Stadionprojekte im Profisektor. Wir werden alles dafür tun, weitere Stadionprojekte umsetzen zu dürfen!
Stadionwelt: Welche Themen stehen ansonsten bei Ihnen auf der Agenda?
Venema: Wir bearbeiten eine Vielzahl von Projekten einer großen typologischen Bandbreite. Diese reicht von Kitas und Schulen über den Geschosswohnungsbau hin zu Bauten mit Sondernutzungen wie z.B. ein Depot für Kunst, bei dem beispielsweise hohe haustechnische Anforderungen bestehen.
Stadionwelt: Inwieweit befassen Sie sich mit dem „Dauerbrenner“ Nachhaltigkeit?
Venema: Wie schon erwähnt, ist für uns die Sanierung und Instandhaltung von Bestandsbauten ein wichtiger Punkt. Erhalt ist immer dem Neubau vorzuziehen, zumindest dort, wo es möglich und sinnvoll ist. Wir achten natürlich auch auf die Auswahl der Materialien und die Implementierung von zukunftsfähigen Techniken. So planen wir aktuell mehrere Mehrfamilienhäuser in Holzhybridbauweise und die Dächer der Tribünen in Darmstadt werden nahezu komplett für die Erzeugung von Solarstrom verwendet – was sich natürlich auch anbietet.
Grundsätzlich muss hier in Zukunft aber auf vielen Ebenen noch etwas passieren - bei Bauherren, Planern und in der Politik. Viel zu häufig scheitern gute Konzepte frühzeitig am Budget oder innovative Ideen an der Angst vor Neuem oder schlicht der Bürokratie - und das kann in 50 Jahren nicht unsere Ausrede sein.
Stadionwelt: Wie können Sie diese Themen bereits bei der Planung von Gebäuden, Stadien etc. berücksichtigen und einfließen lassen?
Venema: Stadien haben hier natürlich einen schweren Stand – handelt es sich dabei doch um Gebäude, die in Bau und Instandhaltung sehr aufwendig sind und dafür im Vergleich eine eher geringe zeitliche Auslastung haben. Hier ist es mit Sicherheit in Zukunft wichtig, noch weiter in Richtung anderer Materialien – z.B. Holz - zu denken, auch wenn das baurechtlich im Bau von Versammlungsstätten bislang sehr schwer ist. Ein anderer interessanter Punkt sind moderne und flexible Nutzungskonzepte, welche die Auslastung der Gebäude erhöhen könnten. In einigen Stadien gibt es bereits interessante Drittnutzungen wie z.B. Kitas, andere planen solche Konzepte für die Zukunft. Auch hiermit werden wir uns in Zukunft verstärkt auseinandersetzen.
Ein weiterer wichtiger Punkt sollte in Zukunft die Sondierung und Nutzung von Synergien sein. Gebäude stehen nur in seltenen Fällen für sich allein – so könnte zum Beispiel eine nahgelegene Serverfarm mit ihrer Abwärme ein Stadion oder eine Wohnanlage beheizen. (Stadionwelt, 29.10.2021)
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