„Der Modularbau ist definitiv auf dem Vormarsch“

Bernd Helmstadt, Director Sales Nüssli Gruppe, spricht im zweiten Teil des Interviews über das Education City Stadium in Katar und die Entwicklung des Modularbaus für Sport-, Kultur- und Business-Veranstaltungen.

Bernd Helmstadt Director Sales
Bernd Helmstadt Director Sales Bild: Nüssli Gruppe

Stadionwelt: Nüssli ist nicht nur an Stadionprojekten in Deutschland beteiligt – auch bei der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ist Ihre Expertise gefragt. Im Education City Stadium in Katar errichten Sie einen modularen Oberrang. Inwiefern ist die WM in knapp drei Jahre vor dem Eröffnungsspiel im Arbeitsalltag präsent?
Helmstadt: Nüssli ist seit den Asienspielen 2006 an Projekten in der Region beteiligt und auch dauerhaft vor Ort. Aus diesem Grund sind wir mit den Gegebenheiten sehr vertraut und wissen um die klimatischen Verhältnisse. Trotzdem ist eine frühzeitige Planung auf jeden Fall notwendig. Aufgrund der großen Hitze ist es nur in den Wintermonaten möglich, tagsüber auf den Baustellen zu arbeiten. Aufgrund des beginnenden Sommers und der steigenden Temperaturen werden wir die Arbeiten mehrheitlich nachts durchführen.

Stadionwelt: Können Sie die Unterschiede zu einem „normalen“ Bauprojekt erläutern? Gibt es Herausforderungen, die sonst nicht auftreten? Existieren andere Anforderungen als bei Stadionprojekten in Deutschland?
Helmstadt: Hinter dem Bau eines WM-Stadions steht natürlich ein ganz anderes Abwicklungsverfahren, als hinter einem Stadionbau oder -umbau in Deutschland. Vor allem die administrative Abwicklung und die Planungstiefe unterscheiden sich stark von hiesigen Projekten. So sind an dem Projekt in Doha zehn bis fünfzehn verschiedene Unternehmen aus zehn Ländern beteiligt, die sich untereinander abstimmen müssen, um einen koordinierten Baufortschritt zu gewährleisten. Aus diesem Grund finden regelmäßig Koordinationssitzungen über Skype statt, in denen die nächsten Schritte mittels eines dreidimensionalen Darstellungsprogramms besprochen werden.
Auch die Größe der Unternehmen unterscheidet sich natürlich. Arbeitet man in Deutschland häufig mit regionalen Firmen zusammen, sind es in Katar global-agierende Unternehmen, die teilweise auch unterschiedliche kulturelle Hintergründe und damit andere philosophische Vorstellungen zum Stadionbau haben, als wir.

Als Experte für modulare Tribünen errichtet Nüssli im Education City Stadium in Katar einen Oberrang, der nach der WM wieder abgebaut wird.
Als Experte für modulare Tribünen errichtet Nüssli im Education City Stadium in Katar einen Oberrang, der nach der WM wieder abgebaut wird. Bild: Qatar 2022 Supreme Committee

Stadionwelt: Konkret sind Sie am Bau eines zusätzlichen Rangs beteiligt – wie viel Zeit benötigen Sie noch?
Helmstadt: Ursprünglich hatten wir geplant, die Arbeiten im Mai/Juni 2019 abgeschlossen zu haben – aufgrund von Verzögerungen wird es Stand jetzt Oktober 2019. Katar möchte die meisten Stadien mindestens zwei Jahre vor der Weltmeisterschaft 2022 fertiggestellt haben. Trotz der Verzögerung liegen wir mit unseren Arbeiten aber im Plan, sodass wir das Ziel, zusammen mit den anderen Firmen, die an Baumaßnahmen im Education City Stadium beteiligt sind, erreichen werden.

Stadionwelt: Es gibt Großevents bei denen vermehrt auf temporäre Bauten gesetzt wird, es gibt auch welche, die den Festbau bevorzugen – sehen Sie einen Trend oder ist es vom jeweiligen Einzelfall abhängig? Inwiefern helfen temporäre Bauten bei der Schonung von Ressourcen?
Helmstadt: Wenn sich Entscheider im Vorfeld mit dem Thema Temporär- oder Festbau beschäftigen, kommt es immer auf die aktuelle Situation, das Ziel und die geographischen Gegebenheiten vor Ort an. Beispielsweise benötigt Katar keine acht Großstadien für die Jahre nach der Weltmeisterschaft, sodass die temporäre Erweiterung oder der temporäre Bau von ganzen Stadien in diesem Fall sinnvoll ist. Bei einer Weltmeisterschaft in einem europäischen Land, mit einer organisierten Sportlandschaft, die regelmäßig große Stadien benutzt, sind feste Bauten sinnvoller. Im Bezug auf große Turniere ist die FIFA mittlerweile sehr interessiert an modularen und temporären Bauten.
Bei Vereinen verhält es sich ähnlich, auch hier wird die Entscheidung maßgeblich von den Zielen und Absichten beeinflusst. Nicht alle Vereine können langfristig, über mehrere Jahrzehnte planen, weshalb temporäre Lösungen eine praktikable Alternative darstellen. Hinzu kommt auch häufig noch, dass die Stadien der Vereine meistens einen individuellen Charakter ausstrahlen, der auch nach Baumaßnahmen erhalten bleiben soll.
Generell ist der Ergänzungsbau aber immer eine sinnvolle Alternative, die in Betracht gezogen werden sollte. Er bringt schnelle Lösungen in einem schnelllebigen Geschäft und kann kundenspezifisch an die Bedürfnisse angepasst werden. Hinzu kommt noch, dass die Ressourcen auf diese Weise geschont werden können. Unsere Materialien sind häufig wiedereinsatzbar und werden in der Regel abgebaut und an einem anderen Ort erneut eingesetzt.

Eine modulare Arena auf dem Pier im Manhattan’s Hudson River Park in New York City für das AVP Beach Volleyball Turnier
Eine modulare Arena auf dem Pier im Manhattan’s Hudson River Park in New York City für das AVP Beach Volleyball Turnier Bild: Nüssli Gruppe

Stadionwelt: Neben Stadionprojekten betreuen Sie auch zahlreiche Sonderevents aus Sport, Kultur und Business. Ist in diesem Bereich ein Trend hin zu temporären Lösungen zu erkennen? Inwiefern spielt der wirtschaftliche Faktor eine Rolle?
Helmstadt: Der Eventteilnehmer von heute ist nicht damit zufrieden, sich eine Show anzusehen und am Ende zu applaudieren. Seine Zeit ist knapp, das Angebot an Veranstaltungen riesig. Er möchte unmittelbar dabei sein, exklusive Informationen erhalten, die Vorbereitungen mitverfolgen, einen Blick hinter die Kulissen werfen, mitgestalten, Einfluss nehmen. Sein Ziel ist das unvergessliche individualisierte Erlebnis. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die Veranstaltung und damit an die Eventorganisatoren. Im Temporärbau lassen sich verschiedene Trends beobachten, die alle auf die Unverwechselbarkeit der Veranstaltung abzielen. So setzen Veranstalter beispielsweise vermehrt auf Einzigartigkeit in Bezug auf die Location. Die perfekte Location ist zu einem grossen Teil ausschlaggebend für den Erfolg des Events. Die Veranstalter versuchen erst gar nicht mehr, die Zuschauer ins Stadion zu holen. Sie bringen das Stadion zu den Besuchern; sei es nun auf der Museumsinsel in Berlin oder auf dem Pier im Manhattan’s Hudson River Park in New York City. Dass die Austragungsstätte an diesen stark frequentierten Locations plötzlich aus dem Nichts aufpoppt und nach kurzer Zeit wieder verschwindet, verstärkt die Attraktivität zusätzlich. Die zeitlich begrenzte Dauer der temporären Arena verleiht der Veranstaltung Exklusivität. Wer den Event verpasst, hat keine zweite Chance, denn die Location gibt es nicht mehr. Was bleibt, ist einzig die Erinnerung.

In den vergangenen Jahren war zu beobachten, dass die Festivalorganisatoren vermehrt zu gestalterischen Mitteln greifen, um das Festival noch stärker als eine Art Parallelwelt zu inszenieren, in die sich die Festivalbesucher für kurze Zeit und ähnlich einem Kurzurlaub zurückziehen. Passend zur Ausrichtung der Veranstaltung schufen sie farbenfrohe Bühnenlandschaften anstelle von rein funktionalen Musikbühnen. Das Electric Love Festival am Salzburgring in Österreich beispielsweise sprang im Jahr 2014 als eines der ersten Festivals in Europa auf den Trend auf. Es verband mehrere Bühnen zu einer einzigen durchgehenden Front mit integrierten VIP-Lounges und Plattformen für die Zuschauer. Das Openair Frauenfeld zog ein Jahr später nach und installierte eine 140 Meter lange Skyline, die Parisienne City. Auch sie war für die Festivalteilnehmer zugänglich und ermöglichte es den Festivalbesuchern zum Beispiel, den Blickwinkel der Bands auf das Publikum einzunehmen. Der Besucher erhält durch die verschiedenen Ticket-Kategorien und den damit verbundenen unterschiedlichen Möglichkeiten die Wahl, sein Erlebnis selbst zu intensivieren.

Der Modularbau ist definitiv auf dem Vormarsch, da er diese Trends unterstützt und die Flexibilität bietet, die es benötigt, um immer wieder überraschen zu können. Vor allem die heutigen Möglichkeiten im architektonischen Bereich machen ihn zu einer ernstzunehmenden Alternative. (Stadionwelt, 22.05.2019)

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