„Ein Bauwerk, das einzigartig ist und dabei auch noch Licht machen kann“

Manfred Klawonn, Tragwerksplaner und Leiter des Kompetenzcenters Sportstätten bei der ASSMANN BERATEN + PLANEN GmbH, spricht über aktuelle Stadion-Projekte, die Herausforderungen in Planung und Bau und die zentrale Rolle der Statiker.

Manfred Klawonn
Manfred Klawonn Bild: Klawonn

Stadionwelt: Herr Klawonn, was ist der Stand beim Stadion-Projekt in Karlsruhe?
Klawonn: In Karlsruhe sind wir mitten in der Ausführung des neuen Hauptgebäudes. Ende September wird dort die provisorische Nordtribüne zurückgebaut, anschließend bauen wir dort weiter. Die neuen Tribünen Süd und Ost sind bereits in Betrieb.

Zeitgemäßes Stadion-Konzept an historischem Standort.
Zeitgemäßes Stadion-Konzept an historischem Standort. Bild: ARGE BAM SPORTS GMBH/ Phase 10, O+M ARCHITEKTEN

Stadionwelt: Welche Besonderheiten hat diese Stadion-Baustelle für Sie?
Klawonn:  Hier haben wir, wie schon bei anderen Projekten zuvor, die Herausforderung, im laufenden Spielbetrieb zu bauen. Eine weitere Herausforderung war der hohe Grundwasserstand. Hier haben bei der Ausführung auch ein wenig Glück gehabt. Das Hauptgebäude ist zum Glück rechtzeitig begonnen worden, sodass wir die Gründungssohle, die 30 bis 40 cm über dem normalen Grundwasserspiegel liegt, ohne Grundwasserabsenkung bauen konnten. Als die Sohle fertiggestellt war, ist der Grundwasserpegel um ca. 50 cm angestiegen. Da wir den Keller aber als weiße Wanne geplant haben, macht ihm der Anstieg nun nichts mehr aus.

Stadionwelt: In welcher Konstellation arbeiten Sie in Karlsruhe?
Klawonn: In Karlsruhe ist BAM Sports Generalübernehmer. Der architektonische Entwurf stammte von Dr. Nixdorf von agn. Die Ausführungsplanung liegt nun beim Büro Architektur Concept Pfaffhausen + Staudte.

Bei großen Events kommen temporäre Tribünen hinzu. Die Infrastruktur ist vorbereitet.
Bei großen Events kommen temporäre Tribünen hinzu. Die Infrastruktur ist vorbereitet. Bild: ZECH Sports

Stadionwelt: Wie ist der aktuelle Stand in Dresden?
Klawonn: In Dresden sind wir bei der Erneuerung des Heinz-Steyer-Stadions eingebunden. Wir haben den Wettbewerb zur Ausschreibung der 1. Ausbaustufe mit Hauptgebäude und Flutlichtanlage gewonnen.

Wir sind noch in einer frühen Phase der Planung und haben die Entwurfsplanung jetzt abgeschlossen. Ende Juli wird der Bauantrag eingereicht. Hier ist BAM Sports Generalunternehmer. Als Architekten sind O+M sowie Phase 10 zuständig. Es soll im Ostra-Gehege wieder ein Leichtathletik-Stadion mit 15.000 Plätzen zur Verfügung stehen, mit dem Dresden sich beim DLV als Austragungsort der Deutschen Meisterschaften empfehlen kann. Das Infield mit den entsprechenden Anlagen wird komplett neu erstellt. Für diesen Teil haben wir die STRABAG Sportstättenbau GmbH im Team.

Unser Part ist die Tragwerksplanung für das neue Hauptgebäude, das 4 Geschosse bekommt und diverse Sporthallen beherbergt, unter anderem eine Fechter-Halle. Und hierin liegt auch die bauliche Herausforderung. Wir müssen nämlich wegen des Formats dieser Hallen eine Spannweite des Gebäudes von 18 Metern ohne Stützen realisieren.  Ferner müssen wir den Lichtring, die Lichtbrücke und die Rollstuhlfahrerrampe planen.

Stadionwelt: Aber das Stadion bekommt auch eine ungewohnte Struktur …
Klawonn: Ja, die genannte Kapazität wird nur mit temporär zu errichtenden mobilen Tribünen erreicht. Hierfür werden die Nord- und Südkurve lediglich vorbereitet. Im Regelbetrieb befinden sich dort Freiflächen, die Kapazität beträgt dann ca. 5.000 Zuschauer im Bestand und der neuen Haupttribüne.

Stadionwelt: Wird die Infrastruktur für die Aufwärts-Skalierung ganzjährig bereitstehen? Man wird sicher nicht dauerhaft teure Gastro- und Sanitärbereiche vorhalten, wenn diese nur bei wenigen Events benötigt werden.
Klawonn: Richtig. Die Flucht- und Rettungswege werden schon so angelegt, dass sie der Maximalkapazität entsprechen. Es wird auch die Infrastruktur mit Versorgungs-Anschlüssen und Abflüssen gelegt, die dann von mobilen Kiosken und WCs nach jeweiligem Bedarf der Veranstaltung genutzt werden können.

Stadionwelt: Wie Sie erwähnten, war die Flutlichtanlage ebenfalls Gegenstand der Ausschreibung. Was hat es hiermit auf sich?
Klawonn: Als wir die Anforderungen der Ausschreibung durchgegangen sind, zeigte sich, dass 6 Flutlichtmasten mit einer Höhe von ca. 70 m erforderlich gewesen wären, um diese zu erfüllen. Dies wäre ein enormer Kostenfaktor geworden und hätte sich auch schlecht in die Bebauung des Ostra-Geheges eingefügt. In Zusammenarbeit mit der Lichttechnik und den Architekten haben wir dann eine Konstruktion entwickelt, die dieses Problem löst und zudem die zerstückelte Gebäudesituation des Stadions in ein einheitliches Gesamtbild bringt: Ein Lichtband. Dank dieser umlaufenden Konstruktion wird nicht nur das Flutlicht-Thema elegant gelöst. Wir verleihen dem Stadion mit dieser Konstruktion auch eine Fassade, die dem Ganzen überhaupt erst einen Stadioncharakter verleiht.

Beleuchtungsanlage und Blend-Fassade ein einem: Das Dresdener Lichtband.
Beleuchtungsanlage und Blend-Fassade ein einem: Das Dresdener Lichtband. Bild: ZECH Sports

Stadionwelt: Dass der Statiker mit dem Lichtplaner die Form eines Stadions bestimmt, ist wohl nicht alltäglich.
Klawonn: Nein, in dieser Form sicher nicht. Aber es war nicht nur der Lichtplaner, sondern auch entscheidend der Architekt mit im Boot. Wir als Team haben ein Bauwerk, das einzigartig ist und dabei auch noch Licht machen kann entwickelt. Unter dem Dach der GU-Konstellation haben wir diese Idee schon im Wettbewerb in den Grundzügen erarbeitet. Der Lichtexperte hat die technischen Notwendigkeiten erarbeitet und damit die Höhenlage des Lichtringes festgelegt, der Architekt hat unter städtebaulichen und ästhetischen Aspekten das Ganze in Form gebracht und wir als Tragwerksplaner ermöglichen, dass diese Visionen dann auch standsicher umgesetzt werden können. Ich finde, hier sieht man besonders gut, wie wichtig eine gute Teamarbeit ist, um ein für alle Beteiligten gutes Ergebnis zu erzielen.

Stadionwelt: Nicht jedermann kennt die Rolle des Tragwerksplaners in Bau-Projekten. Was sollte man darüber wissen?
Klawonn: Es ist eine ganz wichtige Rolle. Im Stadionbau hat beim Hauptgebäude – auch wenn ich eben erwähnt habe, dass wir dort auch besondere statische Aufgaben haben – eher der Architekt das Gewicht. Da geht es um das Erscheinungsbild, das Raumprogramm, die Anordnung funktionaler Einheiten und den Ausbau. Bei der Schüssel bearbeitet der Architekt das Gesamtkonzept: Wo sind die Heimfans, wo die Gäste; wo sind Steh- und wo Sitzplätze und wie ist das Business- und VIP-Konzept. Und wie ist das Gesamterscheinungsbild mit der Dachform. Die Konstruktion der Stadion-Schüssel mit den Stufen und dem Dach ist aber weitgehend das Konzept des Tragwerkplaners. Man meint immer, die Tribünen bestehen aus „grauem Beton mit bunten Sitzen darauf“. Aber die Stufen müssen dynamisch bemessen werden und müssen baubar sein.  Bei Assmann sind wir da sehr weit im Thema. In Karlsruhe plane ich persönlich mein 11. Stadion. Daher können wir die Tribünen mit dem gesamten Fertigteilbau und den Sichtlinien vom Wettbewerb bis in die Ausführung mitplanen.

Stadionwelt: …Wobei es oft genug erforderlich ist, besondere Lösungen zu erarbeiten.
Klawonn: Wir haben es häufig mit schlechtem Baugrund zu tun, immer wieder müssen wir auch für Projekte bei laufendem Spielbetrieb planen. Dort muss eine Bau-Logistik oft sehr kreativ entwickelt werden. In Karlsruhe müssen wir beispielsweise einen Teil der Tribüne vom Hauptgebäude verkehrt herum bauen. Eigentlich werden die Tribünenstufen wie Dachpfannen verbaut. In Karlsruhe ist das Gebäude aber so groß, dass wir nicht von außen verlegen können. Es geht nur vom Spielfeld aus, wo wiederum kein Platz für einen Mobilkran ist, weil dort nur eine Arbeitsbreite von 8,50 m abzüglich der Flächen für Bandenwerbung zur Verfügung steht. Die ersten 10 m der Tribüne müssen wir daher erst ganz zum Schluss bauen, wenn das Hauptgebäude inclusive der Dachkonstruktion schon fertiggestellt ist. Und Tribünenplatten mit ihren 11 bis 12 to kann man nicht wie Dachpfannen hochheben und die untere drunter schieben. Für diese Situation muss eine Lösung erarbeitet werden.

Solche, oder aber auch komplett andere Herausforderungen tauchen immer wieder beim Bauen unter laufendem Spielbetrieb auf. Wir müssen dafür immer „schlaue“ Lösungen finden – und diese natürlich mit dem Generalunternehmer abstimmen.

Stadionwelt: Gab es nicht auch in Aue schon Sonderlösungen?
Klawonn: Ja, für uns ist es mittlerweile schon Routine, also wissen wir auch, wie man Lösungen erarbeitet. In Aue mussten wir einen Bereich im Hauptgebäude für Schwerlasttransporte befahrbar machen, um die Betonteile innen montieren zu können.

Stadionwelt: Wie funktioniert in solchen Situationen, wo harte Faktoren das Vorgehen diktieren, die Zusammenarbeit in der Ausführungsplanung? Es gibt sicher immer Befindlichkeiten und Eitelkeiten.
Klawonn: Die Tribünen sind wie ein Ingenieurbau zu betrachten. Bei den technischen Details kann der Architekt ohne den Tragwerksplaner keine Details ausarbeiten. Die Ausführungsplanung geht nur im Team. Da lautet die Devise: Austauschen, Austauschen, austauschen! Der Architekt ist vielleicht nicht mehr in seinem Kerngeschäft, aber er kann mitdenken und vielleicht doch noch gute Ideen einbringen. Die Architekten, mit denen wir im Stadiongeschäft zusammenarbeiten kennen das, und es funktioniert eigentlich ganz gut. Ich lege immer Wert darauf, betont sachlich miteinander umzugehen und auch gar keine Missstimmung aufkommen zu lassen. Man muss eine Situation schaffen, in der alle Beteiligten in der Lage sind, ihr Bestes beizutragen, auch wenn sich die Bearbeitungsbereiche mal überschneiden.

Stadionwelt: Über Grundwasser haben Sie schon gesprochen. Nun gab es wieder Hochwasser-Katastrophen und Sie bauen in Flutgebieten. Wie bewerten Sie das insbesondere vor dem Hintergrund der Ereignisse im Sommer 2021?
Klawonn: Überall, wo man mit problematischen Grundwasserverhältnissen baut und/oder in Überschwemmungsgebieten, ist das immer sensibel. Es gibt auch Stadien, wo das Grundwasser unproblematisch ist, aber Überflutungsgefahr herrscht. Mittlerweile ist es schon Standard, dass man nicht nur einen Entwässerungsantrag einreichen muss, sondern auch den Nachweis, dass das Grundstück nicht überflutet werden kann. Die Regenmengen, die der gültigen Norm zugrunde liegen, werden aber auch immer häufiger gesprengt. Da kommt man schon ins Grübeln.

Stadionwelt: Haben Sie aus Ihren Projekten Beispiele für gute Lösungen?
Klawonn: In Aue liegt das Stadion in einem Talkessel und wir haben einen Flusslauf überbaut. Dort haben wir übrigens die Dachrinne größer gebaut als eigentlich nach gültiger Norm notwendig, was auf die Initiative des ausführenden Fachplaners zurückging. Damit haben wir einer neuen Norm, die vielleicht bald kommen wird und größere Regenmengen beinhaltet, schon vorgegriffen

In Dresden hat das Ostra-Gehege im Bogen der Elbe ja eine traurige Überflutungs-Tradition. Hier bauen wir hinter einer bereits errichteten Hochwasser-Anlage. Das Stadion ist hinter der Flutmauer im sicheren Bereich. Aber auch hier gibt es eine Herausforderung, denn bei der Gründung finden wir eine Lehmschicht vor. Die dichtet gegen das Grundwasser ab, dessen Stand eigentlich die Elbe bestimmt. Wenn außerhalb aber das Wasser steigt, dichtet bei uns die Lehmschicht ab. Bei der Gründung müssen wir daher aufpassen, dass wir die Abdichtung durch diese Lehmschicht nicht gefährden. Da der Baugrund nicht sehr tragfähig ist, stehen zwei Verfahren für die Tiefgründung zur Wahl: Pfähle oder Stopfsäulen. Beide gehen durch die Lehmschicht, die wir wieder schließen müssen. Als Entscheidungsgrundlage dient in diesem Fall nicht nur die statische Anforderung, sondern indirekt auch die an den Hochwasserschutz. (Stadionwelt, 30.07.2021)

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