Sitze: Herausforderungen und Innovationen

Die Stadionbestuhlung ist maßgeblich für das Fassungsvermögen der jeweiligen Spielstätte. Zwar ist die Plastikschale gängig – die Erwartungen an Sitze werden aber größer. Und es sind innovative Ideen gefragt.

44.500 Sitzplätze stehen in der MERKUR SPIEL-ARENA zur Verfügung.
44.500 Sitzplätze stehen in der MERKUR SPIEL-ARENA zur Verfügung. Bild: Stadionwelt

Mit 81.365 Plätzen ist der Dortmunder SIGNAL IDUNA PARK das größte Stadion des Landes. Die 36 Spielstätten der ersten beiden Ligen im Profifußball bieten aktuell insgesamt deutlich mehr als 1 Mio. Zuschauerplätze an – und über 300.000 Stehplätze. Letztere können zu einem großen Teil für internationale Spiele in Sitzplätze umgewandelt werden. Einen statischen Zustand gibt es in diesem Bereich der Veranstaltungsstätten nicht, es ist immer einiges im Fluss.

Die multifunktionalen Indoor-Arenen bieten in der Regel ein hohes Maß an Konfigurierbarkeit und damit auch Spielraum bei Tribünenanordnungen für Sitz- und Stehplätze. Hier kommt in der Regel zudem ein Bestand an Stapelstühlen hinzu, mit denen die Aktionsfläche oder Lounges mit Reihenbestuhlung ausgestattet werden können.

Die größten Multifunktionsarenen halten permanent insgesamt über 70.000 dieser Sitze auf Lager. In den Zuschauerbereichen werden im Schnitt in Stadien wie in Arenen mehr als drei unterschiedliche Sitztypen verwendet. Gängig ist im Stadion die bekannte Plastikschale, jedoch werden in einer modernen Sportstätte inzwischen die verschiedensten Arten von Sitzmöbeln installiert. So werden beispielsweise auch die Funktionsräume, Büros, Gastronomie-Betriebe, Pressebereiche oder VIP-Zonen mit Sitzgelegenheiten bestückt.

„Komfort und Flexibilität sind besonders wichtige Faktoren“

In Stadien, auch wenn die Tribünen überdacht sein sollten, erweitern ein hoher Andrang und zum Teil auch Vandalismus das Anforderungsprofil der Sitze. Wind und Wetter sowie insbesondere die UV-Einstrahlung kommen auch hinzu. Letztere kann die Einfärbung verblassen lassen, vor allen Dingen aber den Kunststoff brüchig machen.

Längst nicht alle Möbelhersteller begeben sich auf den Stadion-Markt – und der Sport-Sektor hat durchaus eigene Gesetze, die den Anbietern spezifische Expertise abverlangen. Neben der Umsetzung aller Normen und Verordnungen sind beim Stadionsitz für die Funktion materialbedingte Eigenschaften und die Belastbarkeit wichtig. Gleichzeitig sollten bei einem gelungenen Produkt auch Ästhetik und der Wohlfühlfaktor nicht zu kurz kommen.

„Komfort und Flexibilität sind besonders wichtige Faktoren“, sagt Matthias Distler, Head of Sales im Bereich Sport bei der GSM Sella GmbH. „Ein Produkt ist wirklich gelungen, wenn der Zuschauer sich während der gesamten Laufzeit der besuchten Veranstaltung oder Spielzeit des Sportereignisses wohlfühlt und dieses Erlebnis durch hohen Sitzkomfort verbessert wird“, konstatiert Distler.

Einschränkungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie macht Distler nicht aus. „Unsere Produktion läuft voll umfänglich und reibungslos weiter“, sagt Distler. „Bisher haben wir hier noch keine Auswirkungen bemerkt.“ Man habe „frühzeitig gute Konzepte erarbeitet um die Prozesse am Laufen zu halten“. Zudem wurde die Näherei und Polsterei um die Herstellung von Mund-Nasen-Masken erweitert.

Die Zielsetzung für das von der Krise bestimmte Jahr formuliert Distler wie folgt: „Für 2020 steht an erster Stelle, all unsere Mitarbeiter sicher und gesund durch diese schwierige Zeit zu führen und dabei laufende Projekte erfolgreich umzusetzen.“ Es stehen für das restliche Jahr auch noch Aufträge an: So wird das Unternehmen das neue Stadion des Bundesligisten SC Freiburg sowie das im Umbau befindliche Ludwigsparkstadion in Saarbrücken mit seinen Sitzen ausstatten. Außerdem zählen zu den Projekten das Eisstadion in Landshut sowie die BRITA-Arena in Wiesbaden.

Hohe Erwartungen

Die Anforderungen an Sitze sind in der letzten Zeit stets gestiegen. Dies ist auf den zunehmenden Eventcharakter bei einem Stadionbesuch zurückzuführen. „Ja, die Anforderungen haben sich verändert“, bestätigt Distler.

„Dadurch, dass Sportveranstaltungen immer mehr einen Eventcharakter bekommen, wird auch ein immer höherer Komfort erwartet – egal ob es sich um eine Sitzheizung oder ein verfügbares WLAN-Netz handelt“, so Distler. Zur optimalen Unterbringung der Access Points hat GSM gemeinsam mit dem Unternehmen Gigahertz „gute Lösungen“ erarbeitet. „Die benötigten Zugangspunkte werden hierzu an unseren Sitzen angebracht, um diese besser zu schützen und zu verbergen.“

Typisch für die Branche: Ein Sitzmodell sollte projektbezogen in tendenziell hoher Stückzahl abrufbar sein, wohingegen ein regelmäßiger Verkauf kleinerer Stückzahlen eher nicht stattfindet. Mit Ausnahme von Reserven für den Austausch sollten keine größeren Kontingente auf Verdacht produziert und gelagert werden – nicht zuletzt, weil jedes Stadion in einem eigenen Farbton bestuhlt wird. Zudem sei erwähnt, dass sich Investitionen – natürlich je nach der Größe der Spielstätte – um hohe sechs- oder sogar siebenstellige Investitionssummen handelt.

 Wunsch nach Individualität

Entsprechende Ansprüche stellen die Betreiber bei der Wahl der Produkte und der Betreuung. „Der Wunsch der meisten Käufer geht dahin, mit uns gemeinsam ein individuelles Produkt zu entwickeln, das optimal zum Charakter des Stadions, der Stadt oder des Vereins passt“, erklärt Distler.

Der Wunsch nach Individualität war auch in München groß. In wenigen Städten in Deutschland ist eine solch ausgeprägte innerstädtische Rivalität auszumachen, wie sie zwischen dem FC Bayern und dem TSV 1860 München vorherrscht. Entsprechend erleichtert waren die Anhänger des deutschen Rekordmeisters, als in der Sommerpause 2018 die alten Sitze gegen neue in den Vereinsfarben getauscht wurden.

Die Allianz Arena im München.
Die Allianz Arena im München. Bild: Allianz Arena/B. Ducke

Insgesamt wurden 25.000 Sitze des deutschen Familienunternehmens EHEIM in der Allianz Arena montiert. Um den eng getakteten Zeitplan einzuhalten, waren zu Spitzenzeiten 25 Arbeiter gleichzeitig mit diversen Arbeiten beschäftigt.

Die größte Herausforderung stellte die Gestaltung des Vereinslogos in der Nordkurve dar. Um die richtigen Positionen der Sitze in den Farben Rot, Weiß und Blau herauszufinden, wurden Plastiktüten verwendet, die über die einzelnen Sitze gestülpt wurden. Danach wurden die Sitze Schritt für Schritt abmontiert und durch neue ersetzt.

 Inklusive der Nummerierung benötigten die Arbeiter für die gesamten Tätigkeiten elf Wochen. Neben dem Vereinslogo im Norden wurde der komplette Mittelrang durch rote Sitze ersetzt. Den Unterrang der Haupttribüne ziert der Slogan „Mia san mia“ in Schreibschrift. Auf der Gegentribüne wurde der Schriftzug „FC Bayern München“ verteilt über alle drei Ränge eingearbeitet.

Sicheres Stehen in England?

In England sind seit Beginn der 1990er-Jahre Stehplätze in den beiden obersten Ligen verboten. Bei der Katastrophe von Hillsborough waren 1989 96 Menschen ums Leben gekommen – mehr als 700 Fans wurden infolge einer Massenpanik verletzt. Inzwischen regt sich seitens der Fans und Clubs mehr und mehr Widerstand gegen das pauschale Verbot.

In einigen Spielstätten hat sich das „Safe Standing“-Prinzip dank flexibler Rail Seats durchgesetzt. Im Old Trafford, der Heimstätte von Manchester United, sollen zur neuen Saison 1.500 solcher Rail Seats installiert werden. Der Club sucht aktuell nach einer Firma, die die Sitze installiert. Auch die Wolverhampton Wanderers haben im Molineux bereits im vergangenen Jahr Tests mit Rail Seats durchgeführt, daraufhin sogar eine ganze Tribüne damit umgerüstet. In Schottland hat Celtic Glasgow bereits seit einigen Jahren einen Safe-Standing-Bereich.

Hoffnung auf Innovation

Inzwischen hält auch die Thematik Nachhaltigkeit in Bezug auf die Produktion von Stadionsitzen mehr und mehr Einzug. „Es ist jetzt schon ein Umdenken spürbar und die Nachfrage nach umweltfreundlichen und nachhaltigen Produkten steigt stetig“, konstatiert Distler. „Wir setzen uns mit diesem Thema schon seit einiger Zeit auseinander und arbeiten zum Beispiel intensiv an einer Lösung, Kunststoffsitze mit einem sehr hohen Recyclinganteil herzustellen, ohne dabei Einbußen bei der Robustheit oder Langlebigkeit unserer Sitze hinnehmen zu müssen.“

Für das neue Stadion des Everton FC hat der verantwortliche Architekt Dan Meis eine besondere Idee vorgeschlagen. So sollen dort Sitze aus recyceltem Ozeanplastik montiert werden. Das Neubauprojekt soll aus seiner Sicht eine Vorreiterrolle einnehmen. Aber wie kam es zu der Idee?

Die neue Heimat des FC Everton.
Die neue Heimat des FC Everton. Bild: Everton FC

Der US-amerikanische Architekt, der unter anderem Projekte wie das Staples Center in Los Angeles oder das neue Stadion in Rom designte, berichtet gegenüber Stadionwelt: „Ein guter Freund von mir, der Schauspieler Adrian Grenier, hatte eine Organisation namens ‚Lonely Whale‘ gegründet, die sich mit der Gesundheit der Ozeane und dem Problem der Kunststoffabfälle befasst. Mir fiel auf, dass die Plastiksitze einen Großteil des in Stadien verwendeten Materials ausmachen. Es schien logisch, dass wir uns den Ozeanplastik zunutze machen und eine vollständig recycelbare Lösung entwickeln.“

Der Prototyp befindet sich laut Meis aktuell „noch in der Entwicklung“. Eine Herausforderung stellt die Einhaltung der nötigen Normen dar. Meis: „Wir haben einen Entwurf, aber die chemischen Komponenten beziehungsweise die Produktion befinden sich noch in der Entwicklung. Wir müssen sicherstellen, dass die Kunststoffe den Vorschriften und extremen Anforderungen eines Stadionsitzes standhalten können.“ Meis sieht hier auch großes Potenzial, da „beinahe jeder Club sich mehr und mehr für das Thema Nachhaltigkeit interessiert“.

Das Projekt wird aktuell noch mit dem Club abgestimmt. Auch die Suche nach einem Hersteller läuft. Bis spätestens 2023 soll am Hafen Liverpools der 567 Mio. Euro teure und rund 52.000 Zuschauer fassende Neubau fertiggestellt werden.

Meis wünscht sich für die Zukunft mehr ökologische Verantwortung bei den handelnden Personen: „Ich hoffe sehr, dass dies in Zukunft zum Standard für Stadien gehört, aber es ist noch eine relativ neue Idee.“ Leider seien Stadien „traditionell keine idealen Gebäude in puncto Nachhaltigkeit. Es gibt jedoch ein wachsendes Bewusstsein, sodass ich glaube, dass wir in diesem Bereich in Zukunft sehr viele Innovationen erleben werden.“ (Stadionwelt, 02.06.2020)

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