Profifußball in der Krise

Über die schwierige Balance zwischen Moral und Anspruch im Profifußball schreibt Klaus Brüggemann, Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement, in seinem Gastbeitrag.

Klaus Brüggemann
Klaus Brüggemann Bild: DHfPG

Real Madrid hat 2017 aus kommerziellen Gründen sowohl in den Vereinigten Arabischen Emiraten als auch in Saudi-Arabien, Katar, Kuwait, Bahrain und Oman das Kreuz als christliches Symbol aus ihrem Vereinswappen entfernt. Informationen über den mehrfachen Weltfußballer des Jahres Cristiano Ronaldo besagen, dass dieser bis 2014 eine Briefkastengesellschaft nutzte, in die seine Werbeeinnahmen flossen, um Steuern zu sparen. Des Weiteren verkaufte er seine Werberechte bis 2020 an zwei weitere, von ihm selbst gegründete Briefkastenfirmen auf den Britischen Jungferninseln. Die Einnahmen aus diesem Verkauf in Höhe von knapp 75 Mio. Euro wurden auf Ronaldos Konto bei einer Privatbank in der Schweiz überwiesen. Sein Verhalten war strafrechtlich nicht relevant, da nach Angaben von Football Leaks die Firmen dank einer zu diesem Zeitpunkt geltenden Sonderregelung des spanischen Steuerrechts legal waren. 

In den USA wurden Dutzende von FIFA-Funktionären wegen Bestechlichkeit angeklagt und teilweise verurteilt. Das FBI schätzte die Bestechungssummen auf circa 123 Mio. Euro. Staaten wie Katar, die unter anderem massiv gegen Menschenrechte verstoßen, richten eine Fußball-Weltmeisterschaft aus und machen „National-Branding“, indem sie Fußballclubs wie Paris Saint-Germain (PSG) finanzieren. Chinesische Staatsfonds und Oligarchen „fluten“ ebenso Clubs in der spanischen, italienischen und englischen Liga. Spieler verlängern während der Corona-Krise ihren Vertrag mit einer Gehaltssteigerung auf circa 15 Mio Euro im Jahr, gleichzeitig bitten Vereine wie zum Beispiel Schalke 04 ihre Fans darum, auf die Rückerstattung ihrer Tickets zu verzichten. Clubmitarbeiter wie Fans sind teilweise in Kurzarbeit und einige Spieler streiten sich über zehnprozentige Gehaltskürzungen. Football Leaks hat massenhaft moralische Verfehlungen und strafrechtlich relevante Fakten ans Licht gebracht.

Das Schlimme daran ist: Kaum jemanden schien es in der Vergangenheit wirklich zu interessieren, getreu dem Motto „Was interessiert mich der Krieg und das Elend in der Welt, solange es nicht vor meiner Haustür stattfindet“. Auch Fans müssen sich teilweise den Vorwurf gefallen lassen, ihre Forderungen nach Glaubwürdigkeit, weniger Kommerzialisierung, höherer Identifikation der Spieler mit dem Club, Ethik und Moral selektiv anzuwenden. Der Drang zum Erfolg des eigenen Clubs verwässert oft die Wahrnehmung, dies gilt natürlich auch für die Manager und Funktionäre.

Faszination und volkswirtschaftlicher Input   

Fußball ist faszinierend und für viele Menschen der Lebensmittelpunkt sowie Sinnstifter. Fußball sozialisiert, lässt Menschen gleich werden und hat sogar die Kraft zur Friedensstiftung wie im Fall der Elfenbeinküste im Rahmen der FIFA WM 2006. Fußball schafft Identifikation wie kaum ein anderer Lebensbereich. Er verändert den Blick auf Länder und die dort lebenden Menschen, wie der positive Effekt für Deutschland zur FIFA WM 2006 zeigt. Ungefähr 300 Millionen Menschen spielen weltweit aktiv Fußball, keine andere Sportart ist so weit verbreitet. Fußball ist sozusagen eine Weltmacht.

Ob am Strand, in den Slums oder in modernsten Stadien, dieser Sport begeistert weltweit die Massen und sorgt schon lange für eine Globalisierung. Laut Sportsatellitenkonto 2019 beträgt die gesamte Wirtschaftsleistung Sport mit etwa 1,3 Millionen Beschäftigten ca. 70 Mrd. Euro Umsatz allein in Deutschland. Laut DFL-Bericht für die Saison 2018/19 waren 56.081 Personen zu diesem Zeitpunkt „direkt oder indirekt rund um die Bundesliga und 2. Bundesliga beschäftigt“. Kommunen profitieren außerordentlich von den Steuereinnahmen und Kommunikationswerten! Fußball ist ein enormer wirtschaftlicher, aber auch gesellschaftlicher Faktor.

Fußball in der Krise

Der Fußball ist nicht erst durch Corona in der Krise. Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) Christian Seifert rechnet angesichts der Corona-Krise mit massiven Einbußen für die Fußball-Bundesligisten. Einschließlich der vergangenen Saison werden die Vereine bis zur Spielzeit 2021/22 etwa 2 Mrd. Euro Umsatzverlust machen, wie Seifert bei einer Pressekonferenz der DFL am 7. Dezember 2020 in Frankfurt erklärte.

Nach der Corona-Krise wird im Milliardenbusiness Fußball nichts mehr so sein wie zuvor. Es lässt sich beobachten, dass sich der „normale“ Fußballkonsument, aber auch die Fans und Fangruppierungen emotional aus dem Fußball zurückziehen, dass sie enttäuscht sind, weil ihnen gerade in der Pandemie klar wird, dass die Distanz zwischen der Profifußballblase und ihren eigenen Lebensumständen immer größter wird. Live-Erlebnisse im Stadion können nicht durch Geisterspiele ersetzt werden. Es besteht die große Gefahr, dass sich die Fans, die keine Vereins- oder auch regional bestimmte „Fußball-DNA“ haben, vom Erlebnis Fußball entfernen. Auch den Ultras, die ebenfalls ein Stück weit von der Selbstinszenierung leben, fehlt zurzeit die Plattform. Fanclubs werden in Pandemiezeiten teilweise vernachlässigt und lehnen oft auch Geisterspiele ab. Diese sind aber aufgrund der TV-Gelder überlebenswichtig für viele Vereine. Neben vielen Clubs spiegelt sich insbesondere im Deutschen Fußball-Bund (DFB) seit Jahren eine scheinbare Parallelwelt wider. Die Fans haben sich zum Teil von der Nationalmannschaft emotional verabschiedet, die Auswirkungen werden sich auf die Vereine niederschlagen.

Forderungen von Fans und Teilen der Gesellschaft, beispielsweise Einhalt bei den ausufernden Gehalts- und Transferausgaben zu bieten und auch weniger Kommerzialisierung zu betreiben, sind zwar legitim und wünschenswert, waren aber zumindest in der Vergangenheit im finanziellen Wettrüsten der internationalen Clubs ein Stück weit realitätsfremd. Die deutschen Vereine stehen wie alle Top-Clubs im internationalen Wettbewerb. Die ausufernde Kommerzialisierung zu kritisieren und gleichzeitig den Erfolg des eigenen Clubs einzufordern gelingt leider im Profifußball nicht. Wenn man als Fan des FC Bayern München oder von Borussia Dortmund die Meisterschaft und eine Spitzenplatzierung in der UEFA Champions League wünscht, gleichzeitig aber Gehalts- und Transfereinsparungen fordert, kann dies aktuell im internationalen Wettbewerb nicht funktionieren. Das Gleiche gilt quasi für alle Vereine, auch für die, die sich in der Tabelle oben nachhaltig positionieren wollen. Um die Kluft zwischen den regelmäßigen Champions-League-Teilnehmern und den anderen Vereinen nur ansatzweise anzugleichen, benötigt man Geld – viel Geld – auch damit ein nachhaltiger sportlicher Erfolg erzielt wird.

Dass es auch ohne Champions-League-Teilnahme geht, hat Hertha BSC zum Beispiel gezeigt: Der Verein hat einen Weg gefunden, durch den Investoren unter Einhaltung der 50+1-Regel einbezogen werden können, ohne dabei maßgebliches Mitspracherecht zu erlangen – eben anders als Finanzinvestoren in den anderen europäischen Fußballligen. Dass Geld allein nicht ausreicht, haben Vereine wie der Hamburger SV, FC Schalke 04 aber auch der VfL Wolfsburg in den letzten Jahren bewiesen. Man benötigt einen finanziellen Plan, der sich aber im Idealfall mit einer klaren sportlichen Strategie, Spielidee und „Vereins-DNA“ deckt. Borussia Mönchengladbach, RB Leipzig und auch Bayer 04 Leverkusen haben gezeigt, wie es im Idealfall geht: Der Verein entwickelt eine Spielidee, in dem Fall attraktiven und offensiven Fußball, baut nach und nach einen entsprechenden Kader unter der Auswahl des passenden Trainers auf. Der Fairness halber muss aber berücksichtigt werden, dass dieses nur mit dem nötigen Kleingeld geht und wenn man sich in den sicheren „Fahrwassern“ der 1. Liga etabliert hat. 

Die Corona-Krise als Chance

Seit Jahren wird über Salary Caps (dt.: Gehaltsobergrenzen) und Transferbegrenzungen in den europäischen Ligen gesprochen. Die Corona-Pandemie betrifft alle Ligen und auch die Öl- sowie Oligarchengelder werden nicht unendlich fließen. Die aktuelle Krise bietet die Chance, die Auswüchse der Gehälter und Transferkosten europaweit zu reglementieren. Dafür notwendig wäre natürlich eine Einigung der europäischen Spitzenclubs und Entscheider der großen Ligen. Es wäre wünschenswert, dass maßgebliche Vereinsvertreter den Mut und die Kraft hätten, einen Solidaritätsgipfel einzuberufen und Ergebnisse zu liefern. Das Gleiche gilt für die Verteilung von TV-Geldern.

Viele schimpfen auf das Gebaren einiger reicher englischer Clubs. Im Bereich der Vergabe von Fernsehgeldern geht es dort aber wesentlich gerechter zu. Die englische Premier League hat in der Saison 2018/19 diese Einnahmen in Höhe von 2,6 Mrd. Euro an alle 20 Vereine ausgeschüttet. In England werden aber nationale und internationale TV-Gelder in einem Pool gesammelt und angemessener verteilt, zu einem Verteilungsschlüssel von 1,6:1. Dadurch hat der FC Liverpool als Champions-League-Sieger 162,2 Mio. Euro bekommen, Huddersfield Town als Tabellenletzter aber immerhin noch 100,8 Mio. Euro.

Der Fokus muss wieder mehr auf die Ausbildungsakademien und eigene Talente gelegt werden, mit allen professionellen Inhalten, die im modernen Fußball notwendig sind, wie Einsatz von Tracking- und KI-Tools, Neuroathletik, und vieles anderes mehr! Die deutschen Nachwuchsspieler drohen den Anschluss zu verlieren. So gelang es der U 17-, der U 19- und der U 20-Nationalmannschaft in 2019 nicht, sich für eine Endrunde der Welt- oder Europameisterschaften zu qualifizieren. Zudem sinkt auch der UEFA-Koeffizient bereits seit einigen Jahren. Der gesamte Amateurfußballbereich muss mehr in eine Gesamtkonzeption eingebunden werden. Wenn sich heute nicht um den Fortbestand der Fußballvereine an der Basis und die Talentförderung in jungen Jahren gekümmert wird, gefährdet das den langfristigen Erfolg des gesamten Sports. Profi- und Amateurfußball hängen voneinander ab. Fans sollten seriös und nachhaltig eingebunden werden. Warum sollte nicht verpflichtend ein Fanvertreter in den Gremien des Vereins zugegen sein, wie ein Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne?

Die Corona-Krise hat dazu geführt, dass sich die weniger involvierten Fußballinteressierten noch weiter vom Sport entfernt haben. Fußball muss wieder Begeisterung wecken. Der „Heavy Metall Fußball à la Klopp“ ist nicht überall möglich, mangels Mittel, Kader und anderer Spielphilosophien. Der Fußball mancher Clubs und auch der Nationalmannschaft entfacht aber eben keine Begeisterung. Die Fans müssen wieder mehr in den Mittelpunkt des Geschehens: etwas weniger Commercial, weniger Hashtags, weniger Populismus und mehr Streben nach Identifikation. Die Pandemie hat gezeigt, dass das gesellschaftliche Bestreben nach Solidarität und Rücksichtnahme zugenommen hat. Diesem muss auch der Fußball gerecht werden. Raus aus der Blase – nahbarer und transparenter, ein Anker des positiven Lebensgefühls werden. Es ist ein wenig Glück in den schwierigen Zeiten, durch das dem Fußball die Chance geboten wird, sich zu bereinigen und sich nachhaltig bei den Menschen wieder als schönste Nebensache der Welt zu manifestieren.

Zum Autor:

Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft arbeitete Klaus Brüggemann in verschiedenen großen deutschen Unternehmen, darunter die Lufthansa Service Berlin GmbH. Seit 1991 ist er Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Brüggemann, die sich auf die Branchen Hotellerie/Hospitality, Sport und Wellness/SPA-Business spezialisiert hat. Klaus Brüggemann war unter anderem Operationsmanager Berlin zur FIFA WM 2006, Manager in der 3. Liga und Berater für diverse Unternehmen, Clubs und Sportler. Er war langjähriges Präsidiumsmitglied von Hertha BSC Berlin und ist aktuell im Aufsichtsrat von HERTHA BSC e. V. Darüber hinaus ist er unter anderem als Dozent für Sportökonomie an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) tätig. (Stadionwelt, 13.01.2021)

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