Leitsysteme: Die Rettung für Großveranstaltungen in Zeiten von Corona?
Die Companeer GmbH hat die bestehende Signaletik in der Allianz Arena durch intelligente Leitsysteme für das Hygienekonzept ergänzt. Stadionwelt sprach mit Projektleiter Stefan Völkl und Geschäftsführer Jochen Lerche.
Covid-19 stellt die Betreiber von Sportstadien und anderen Veranstaltungsorten vor Herausforderungen, die nicht nur wirtschaftlicher Art sind. Lassen sich Events mit Tausenden Menschen und Abstandsregeln vereinbaren? Wie kann wirksamer Infektionsschutz funktionieren?
Stadionwelt: Herr Lerche, Herr Völkl, wie kam es zur Entwicklung dieses Leitsystemes und was kann man sich darunter vorstellen?
Lerche: Der FC Bayern hat für die Allianz Arena ein Corona-konformes Hygienekonzept entwickelt und uns um Unterstützung gebeten. Wir sollten die Customer Journey einbeziehen und darüber nachdenken, wie sich die Besucher während eines Fußballspiels möglichst kreuzungsfrei und mit Abstand bewegen können. Dabei wurde schnell klar, dass ein Leitsystem als Teil der Signaletik mit einer eindeutigen und klaren Sprache extrem wichtig ist, damit das Hygienekonzept funktioniert.
Völkl: Signaletik war zur Orientierung ja schon immer wichtig. Früher ging es vor allem um: Wie komme ich von A nach B? Jetzt geht es auch um Infektionsschutz. Und da reicht es nicht, hier und da einen Strich auf den Boden zu kleben und Hygienespender aufzustellen. Wir müssen die Menschenströme so lenken, dass sie ungehindert fließen können. Davon profitiert auch die gesamte Event Experience, unabhängig vom Infektionsschutz.
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Stadionwelt: Wie ist Companeer an die Aufgabe herangegangen?
Völkl: Unser Ansatz ist ganzheitlich. Das heißt, wir versuchen, das gesamte Konstrukt der Veranstaltung und Location zu verstehen und beziehen dabei drei Schlüsselfaktoren ein: Sicherheit und Infektionsschutz, Mobilität und Fan Journey sowie die Kommunikation mit allen Beteiligten – im Prozess ebenso wie danach.
In der Allianz Arena haben wir zunächst analysiert, wo es Probleme geben könnte und wie wir sie am besten umgehen. Nehmen wir an, es findet ein Spiel mit 15.000 bis 25.000 Zuschauern statt. Da kommt es zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten zwangsläufig zu Stausituationen. Zum Beispiel, wenn in der Halbzeitpause viele Besucher auf die Toilette wollen. Selbst in der Allianz Arena, wo es viele Toiletten gibt, haben wir dort eine Anstehsituation. Um diese in eine geordnete Reihe zu bringen, die nicht mit anderen Besucherströmen kollidiert, mussten wir auch die umliegenden baulichen Begebenheiten mit einbeziehen – also Kioske, Treppen, Aufgänge.
Lerche: Wir müssen uns immer fragen: Wo habe ich ein Infektionsrisiko? Bei 15.000 Zuschauern weniger auf den Zuschauerplätzen in der Arena. Aber wo liegen die Nadelöhre genau, an denen ich eine hohe Personendichte und kritische Verweildauer habe?
Völkl: Oft sind es Kioske oder Toiletten, die Vorkontrolle am Eingang, Treppen – aber auch Orte, an die nicht jeder sofort denkt, zum Beispiel ein Parkscheinautomat im Parkhaus. Hier können sich nach dem Spiel lange Schlangen bilden. Die Einfahrt ins Parkhaus dagegen ist ein Nadelöhr, das den Zufluss ins Parkhaus und damit die Besucherströme zur Arena reguliert. Das ist im Sinne des Hygieneschutzes ein Vorteil gegenüber der Anreise mit der U-Bahn.
Lerche: So hat jedes Stadion andere Dynamiken, die man verstehen muss. Einer der ersten Ansprechpartner ist deshalb immer der Betreiber, der meistens genau weiß, wo seine kritischen Schlüsselstellen liegen.
Stadionwelt: ... womit wir bei der Kommunikation wären?
Völkl: Genau. Viele Situationen sind ja aus dem Regelbetrieb bekannt. Deshalb kann auch der Leiter des Ordnungsdienstes meist interessante Tipps geben. Genauso wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Behörden. Je enger die Abstimmung, desto reibungsloser der Verlauf – gerade jetzt wo die neuen Regeln noch Spielräume bieten, die regional unterschiedlich interpretiert werden.
Lerche: Außerdem empfehlen wir, die Besucher schon vor dem Event mit den neuen Maßnahmen vertraut zu machen – etwa über eine Broschüre, die man zusammen mit den Tickets verschickt. Wer über die Änderungen informiert ist und die neuen Markierungen schon mal gesehen hat, findet sich dann vor Ort noch einfacher zurecht.
Stadionwelt: Wie haben Sie die Signalsprache entwickelt?
Lerche: Zunächst haben wir analysiert, wie es andere machen, wo es Probleme gibt und warum. Wenn eine Wegeleitung nicht funktioniert, ist sie nicht gut genug auf den Besucher ausgerichtet. Also haben wir darüber nachgedacht, was es braucht, damit Markierungen eindeutig und damit einfach verständlich sind.
Völkl: Unser Gedankenansatz war folgender: Was ich im Alltag unbewusst anwende, kann ich auch in einer neuen Situation intuitiv einsetzen. Also haben wir Zeichen aus dem Straßenverkehr, die jeder von Kind an kennt – wie Haltebalken oder Pfeile – als Basis genommen und weiterentwickelt. Wir haben klare Elemente gestaltet, die man ohne große Denkleistung sofort versteht und die variabel einsetzbar sind. Und – auch wenn es banal klingt: Damit eine Markierung beachtet wird, muss sie auch für jeden gut sichtbar sein.
Stadionwelt: Apropos sichtbar: Kann man Ihr Orientierungskonzept irgendwo sehen – außer in der Allianz Arena?
Lerche: Wir haben ein Booklet erstellt, das wir gerne an Interessenten versenden. Darin zeigen wir die Symbole und erklären, wie man bei der Entwicklung der speziellen Wegeleitung vorgeht. Das Booklet kann eine Hilfe sein, wenn ein Veranstalter das Thema selbst angehen möchte. Für jedes Markierungselement sind über uns auch zugehörige Schablonen erhältlich. Und wenn ein Betreiber Unterstützung von Experten möchte, die wissen, worauf es ankommt, freuen wir uns natürlich über Anfragen.
Stadionwelt: Eignet sich Ihr Orientierungsdesign nur für Fußballstadien oder gibt es auch andere Einsatzbereiche?
Völkl: Im Grunde kann jedes größere Event davon profitieren. Unser Konzept bringt überall Mehrwerte, wo viele Menschen auf begrenztem Raum zusammenkommen. Drinnen oder draußen, im Sommer wie im Winter – ob Konzert, Pokerturnier oder Breitensportveranstaltung. Dazu gehört natürlich auch so etwas wie Biathlon oder Eishockey. Wichtig ist, dass die wesentlichen Faktoren immer individuell analysiert werden. Dann wird es am Ende eine schöne und sichere Veranstaltung, die auch für den Veranstalter gewinnbringend ist.
Stadionwelt: Und wie ist der Status in der Allianz Arena?
Völkl: Die Allianz Arena ist so fertig geplant, dass sich die Besucher infektionssicher darin bewegen können. Jetzt wartet sie nur auf ein behördliches Okay – und auf Zuschauer. (Stadionwelt, 29.10.2020)